Retrospektiven über verschiedene Standorte

Scrum Teams verteilen sich zusehends mehr über verschiedene Standorte und was für uns in Scrum Meetings wie Dailys, Estimating & Refinement und Reviews noch ein relativ kleines Problem darstellt, ist für unsere Retrospektiven eine wirkliche Herausforderung. Als Scrum Master ist mir für eine Retrospektive das Gefühl von Vertrauen und volle Aufmerksamkeit sehr wichtig. Das erkenne ich am besten anhand der Körpersprache der Kollegen im Raum. Ich kann ihnen bei Fragen ins Gesicht sehen und es gibt keine unangenehmen Unterbrechungen im Dialog, weil durch technische Verbindungsabbrüche die Datenübertragung vom Mund zum Gehör gestört wurde. All das ist mir sehr wichtig bei einer Retrospektive und dennoch haben wir einen Weg gefunden, sie über Videokonferenzen und weitere Werkzeugen nicht nur zu veranstalten, sondern auch erfolgreich für alle Beteiligten durchzuführen.

Wie ist das Möglich?

Einer der wichtigsten Punkte ist, dass alle Beteiligten sich schon mal in Persona begegnet sind. Sie sind dann füreinander mehr als nur eine Stimme aus dem Kasten oder ein Torso auf dem Bildschirm. Es ist eine Persönlichkeit mit einem Privatleben, über das ich die ein oder andere Geschichte gehört habe. Es muss also dafür gesorgt werden, dass sich das Team mindestens einmal, besser noch häufiger im Jahr trifft und auch neben der Arbeit miteinander interagiert.

Die Qualität der Videokonferenz (VK) Software ist entscheidend für alle Meetings eines verteilten Scrum Teams. Es bedarf sehr guter Mikrofone und Lautsprecher. Das Mikrofon muss Nebengeräusche ausfiltern können. Die Lautsprecher sind auf die gängigen Frequenzgänge unser Sprache mit einem Equalizer angepasst worden. Das Video sollte jedes Mitglied (einzeln) aufnehmen. Die Einrichtung der Konferenz sollte nahezu ohne Aufwand vonstattengehen. Als ideales Setting würde ich mir alle Teilnehmer mit derselben Ausstattung wünschen. Eigener Laptop, eigenes Mikrofon und Kopfhörer sowie eine eigene Kamera. Absolute Gleichberechtigung.

Das ist die grundlegende Intention. Tatsächlich kämpfen wir bei jedem Meeting mit mindestens zehn Minuten der unterschiedlichsten Unwegsamkeiten zu einer stabilen VK. Die Komponenten Internetverbindung, Mikrofon, Telefon und Kamera können eine beliebig komplexe Matrix von Fehlerzuständen darstellen.

Unser Fazit war:
15 Minuten Vorbereitung des Meeting vor das Meeting setzen! Es lohnt sich.

Was wir immer noch falsch machen

Wir gruppieren Menschen in einem Konferenzraum vor ein Mikrofon, ein Lautsprecher und eine Kamera und lassen sie mit den “Einzelkämpfern” interagieren. Sie fangen an untereinander zu tuscheln und ein Teil der Gruppe ist raus. Der Scrum Master als Moderator bekommt es unter Umständen gar nicht mit. Aus irgendwelchen kosmischen Gründen beginnen immer zwei Personen gleichzeitig einen Satz, wenn man in einer VK ist. Beide Seiten hören sich nicht. Als Moderator ist man bemüht, eine weitere wichtige Regel durchzusetzen. Wer nichts zu sagen hat, schaltet sein Mikrofon aus. Pausen lassen und deutlich auf das Ende eines Beitrags hinweisen. Nicht umsonst gibt es im Sprechfunk “over and out” / “Komme und aus”. So prägnant muss das nicht sein, aber man sollte geduldig bleiben, auch wenn die Diskussion gerade hitzig wird.

Das sind nur die Maßnahmen, die notwendig sind, um die Kommunikation zwischen allen Beteiligten zu gewährleisten, aber wir möchten eine Retrospektive durchführen, deren Inhalte durchaus emotional und vertraulich sein können. Ist das überhaupt möglich?

Wir haben eine kostenpflichtige Software namens Retrium ausprobiert und recht gute Erfahrungen damit gemacht. Retrium bietet eine Reihe von vordefinierten Retrospektive an, die sehr gut Schritt für Schritt erklärt und geführt sind. Dazu gehören “4 L’s”, “Start, Stop, Continue”, “Mad, Sad, Glad”, “What went well, what didn’t go well” und “Lean Coffee”. Zudem kann man eigene Retrospektiven bauen, solange sie aus Spalten mit der Möglichkeit zum Kommentare schreiben besteht. Des Weiteren gibt es Team Radars zu den Themen Entwicklung, Arbeitsplatz und Scrum, die auch gerne von den Team-Mitgliedern angenommen werden.

Das Vorgehen ist sehr ähnlich. Themen sammeln, Gruppieren, Priorität abstimmen, Besprechung und Action Items beschließen bis alle Themen abgearbeitet sind. Nur die Fragestellung ändert sich marginal. Methoden zum Beginnen und zum Abschließen des Meetings fehlt in diesem Kontext. Wer mehr möchte, muss kreativ werden.

Wir haben nach digitalen Whiteboards gesucht, auf denen man auch komplexere Fragestellungen und Interaktionen darstellen kann. Die gibt es reichlich auch unentgeltlich. Die Option Post-its zu setzen, ist das beliebteste Akzeptanz Kriterium für solche Boards. Es hat sich als nützlich erwiesen, den Teilnehmern den Zoom zu verbieten. Ansonsten bekommt man viele unterschiedlich große Post-its mit dem Gefühl das Größte ist am lautesten und wichtigste. Also Zoom auf 100% und Finger weg von den +/- Tasten.

Zum Abschluss noch einige Erfahrungen zur Interaktion der Teilnehmer. Sie sind wahrscheinlich abgelenkt. Als Moderator ruft man die Teilnehmer kontinuierlich auf, ihren Beitrag zu leisten. Am besten konkret mit Namen und ggf. mit der Frage oder dem Arbeitsauftrag. Bei Antworten oder Beiträgen wiederholt man das Gesagte und fragt, ob ihr es richtig verstanden wurde. Das ist als Aktives Zuhören bekannt. Die Verständnisnachfrage ist legitim und entschleunigt den Prozess merklich. Es mag merkwürdig klingen, aber je langsamer man in dieser Situation wird, um so mehr wird man schaffen.

Letztendlich wird sich das alles einspielen und alle Beteiligten kennen die Defizite und können damit umgehen. Es wird zu Dialogen und sogar Diskussionen kommen. Man kann sie, wie am Telefon auch, ohne Körpersprache führen und etwas Positives herausholen. Wenn man die oben genannten Regeln zur Gleichberechtigung einhält, vermutlich noch eher, als mit vielen unterschiedlichen Konfigurationen. Die Whiteboards können für viel Erheiterung sorgen, wenn zwei Personen versuchen, dasselbe Post-its zu verschieben. Nach so einer Retrospektive hat man auch körperlich das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Wir haben inzwischen einige durchgeführt und immer vernünftige Action Items beschließen können. Es ist möglich, aber man muss sich mit vielen Faktoren auseinandersetzen, die bei einer “analogen” Retro keine Rolle spielen. Plant mehr Zeit ein und habt eine geringe Erwartung am Anfang. Nehmt euch nicht zuviel vor und seid auch mit bescheidenen Ergebnissen zufrieden. Es wird mit der Zeit besser werden. Versprochen.




Wofür eine Supervision?

Gruppe von Figuren mit Puzzleteilen. Supervisior mit einem zusammengesetzten Puzzle aus den Teilen.
Gruppe von Figuren mit Puzzleteilen. Supervisor mit einem zusammengesetzten Puzzle aus den Teilen.

Wofür eine Supervision, wenn wir doch einen Scrum Master/Agile Coach haben? Die Frage stellen sich vermutlich einige, die das erste Mal hören, dass ein Team einen Supervisor eingeladen hat, etwas zu tun, was in Berufen im sozialen oder karitativen Umfeld Gang und Gäbe ist. Solche Menschen mit hohen emotionalen und psychischen Druck werden geradezu verpflichtend angeleitet, in einer Supervision über ihre Arbeit und das Verhältnis zu ihren Kollegen und Klienten zu reden.

Doch was hat das mit einem Softwareentwicklungsteam zu tun? Die Antwort liegt in den Rollen, in denen wir unsere Arbeit erledigen. Hier kann es zu Spannungen zwischen der Erwartungshaltung und den Bedürfnissen kommen. Jeder Mensch hat unterschiedliche Erfahrungen und damit Wahrnehmungen. Wie intellektualisieren unser Beobachtungen und damit sind sie immer einzigartig. Wenn darüber nicht gesprochen wird und ein Abgleich erfolgt, kann es zu Missverständnissen und Konflikten kommen.

Doch die Frage bleibt. Dafür haben wir doch den Scrum Master. Das ist zum Teil auch richtig und ein Scrum Master kann neben den Fragen zum Prozess, oft auch Fragen zur besseren Zusammenarbeit mit den Kollegen beantworten. Aber so viel Mühe sich ein Scrum Master auch gibt, unabhängig oder sogar allparteilich zu sein, so bleibt er doch immer ein Mitglied des Scrum-Teams. Absolute Objektivität ist damit nicht mehr erreichbar. Zudem wird von dem Scrum Master quasi erwartet, dass eine Lösung für ein Problem in ein bis zwei Stunden, während der Retrospektive gefunden wird.

Dafür ist die doch da, oder? Wie oft hört man den Satz:”Wir reden doch jedes Mal über dasselbe.” Oft werden dann nur die Symptome behandelt, aber nicht das chronische Problem. Wie nah kann man in einer Stunde dem Kern des Problems kommen? Kann ein Scrum Master ohne Ausbildung in Psychologie das überhaupt leisten? Selbst Mediatoren arbeiten nur an der Oberfläche des Problems im hier und jetzt für die Zukunft mit einer Lösung. Bräuchte das Team nicht eher ein Psychotherapie oder sogar Spuren eine Psychoanalyse? Ein Supervisor ist in der Regel auch ein Psychologe mit Erfahrungen in genau diesen beiden Bereichen. Sie oder er nimmt sich die Zeit, die es braucht. Sie stellen dem Team eine wichtige Frage:

“Was glauben Sie, wird nach der Supervision besser sein als zuvor?”

Es werden die Themen gesammelt, die das Team und die Teammitglieder bewegen. Die Themen werden wertfrei umgeformt und allein dafür braucht es manchmal einen Außenstehenden, der nicht selbst in den Konflikt involviert ist. Danach kann man Thema für Thema zum Kern des Konfliktes kommen und hoffentlich, nach einer emotionalen oder sachlichen Diskussion, eine gemeinsame Lösung finden.

Nicht jedes Team braucht einen Supervisor. Manche schaffen es, offen mit ihren Konflikten umzugehen. Sie können über ihre Unterschiede reden und sich verstehen lernen. Sie können über ihre Erwartungen sprechen und sie vernünftig anpassen. Sie schaffen es auch aus emotional stressigen Situationen herauszukommen und sich weiterhin in die Augen sehen zu können.

Andere bitten um Hilfe, wenn sie Hilfe brauchen und das ist auch gut und richtig so. Manche bitten um die Hilfe eines Supervisors, wenn die Konflikte im Team zu lange gereift sind, als dass man sie in 1-2 Stunden Retrospektive aufbrechen könnte.

Zu dieser Einschätzung sind wir auch beim Team RED gekommen, das Monate, wenn nicht Jahrelang ohne einen Scrum Master zu einem sehr guten Scrum Team gewachsen ist. Nur hatten sie dabei niemanden, der so objektiv wie möglich und manchmal notwendig, die wahren Konflikte angesprochen hat. Dennoch sind wir zu der Erkenntnis gekommen die Hilfe anzufordern, die auch ein Scrum Master dem Team nicht mehr geben konnte. Damit sind wir die ersten* bei Thalia, die mit einem Supervisor zusammenarbeiten. Unser Ziel ist es, die Zusammenarbeit durch ein besseres Verständnis unserer Persönlichkeiten zu verbessern. Der Weg dahin wird nicht immer ohne schmerzvolle Erkenntnisse ablaufen und wir stehen noch relativ am Anfang. Die Veränderungen sind noch klein, aber von Bedeutung. Wir gehen von ungefähr acht Besuchen des Supervisors alle sechs Wochen aus und werden sehen, wie wir uns verändern. Wir werden kaum unsere Persönlichkeiten verändern, aber unser Verhalten können wir noch beeinflussen.

*soweit dem Autor bekannt ist